Adelia McAlpin Pyle aka Mary

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Adelia McAlpin Pyle, ca. 1910

Die zweite Hauptfigur in Glaube Liebe Stigmata ist Mary Pyle. Auch sie ist eine Figur, die es im wirklichen Leben gegeben hat.

Als ich vor Jahren mit der Arbeit am Roman begann und vor allem Bücher und Texte zu Padre Pio las, war mir die Bedeutung von Mary noch gar nicht klar. Auch als ich 2008 San Giovanni Rotondo besuchte und die exhumierte Leiche des Padres besichtigte, war Mary für mich noch eine Unbekannte. So bin ich leider völlig achtlos an ihrem Haus, dem Castello Rosa, vorbeigelaufen. Was ich heute sehr bedaure und bei einem nächsten Besuch unbedingt nachholen muss.

Erst als ich durch einen Zufall die Todesdaten von Padre Pio und Mary genauer betrachtete, ging mir ein Licht auf. Mary starb am 26. April 1968. Francesco am 23. September 1968. Knappe fünf Monate lagen dazwischen. Es erinnerte mich an meine Großeltern, die innerhalb von sechs Wochen starben, weil der eine ohne die andere nicht mehr leben konnte und wollte. Eine große Liebesgeschichte. Und diese Vermutung stieg dann auch in mir auf, was die Beziehung zwischen Padre Pio und Mary Pyle anging.

So weitete ich meine Recherchen aus, warf den gesamten Plot über den Haufen und schrieb ganz neue Teile für den Roman.  So griffen Mary, New York, der Reichtum, Adelias Mutter und schließlich auch Maria Montessori in das Geschehen ein.

Mary wurde am 17. April 1888 als Adelia McAlpin Pyle in der Stadt New York geboren. Ihr Großvater James Pyle war in den 1840er Jahren in die Stadt gezogen und hatte dort eine Seifenfabrik gegründet. Angeblich hat er als erster die Buchstaben „OK“ als Abkürzung für den Ausdruck „alles in Ordnung“ benutzt – er taufte seine Seife nämlich „OK Soap“. Und stellte später Seifenpulver her, das unter dem Namen „Pearline“ verkauft wurde.

Ihr Großvater mütterlicherseits, David Hunter McAlpin, war ein einflussreicher Industrieller und Immobilienbesitzer. Er erbaute das McAlpin Hotel, das zur damaligen Zeit, Ende des 19. Jahrhunderts zu den größten der Welt zählte.

Mary hatte fünf Geschwister, die älteren Brüder James und David, ihre jüngere Schwester Sara und die beiden jüngsten Brüder Charles und Gordon. Im Roman habe ich mir erlaubt, die Geschwister umzubenennen, da ich mir nicht sicher war, ob es noch lebende Verwandte der Pyles gibt. Die Familie wohnt in der Fifth Avenue genau gegenüber der St. Thomas Kirche, deren Brand im Jahr 1905 Adelia also durchaus hätte beobachten können.

Landhaus Hurstmont in Morristown, N.J.

Mary wächst behütet auf, ist Mitglied der Presbyterianischen Kirche, sie besucht Privatschulen in Princeton, New Jersey und Dobbs Ferry, New York. Zuhause bekommt sie Privatunterricht in den Sprachen Italienisch, Französisch, Deutsch und Spanisch. Sie nimmt Tanz- und Gesangsunterricht und reitet gern, bis ein Unfall ihr dieses Vergnügen verleidet. Den Sommer verbringt die Familie in ihrem Landhaus in Morristown, New Jersey, einem Haus mit 33 Zimmern, neun Bädern und einem Aufzug. Dazu einen riesigen Garten. Das Anwesen mit Namen Hurstmont war 1907 auf dem Cover der Zeitschrift „American Homes and Gardens“ zu sehen. Ein privilegiertes Lebens also.

So wurde auch die Einführung der beiden Pyle-Töchter in die gute Gesellschaft New Yorks standesgemäß im Sherry’s gefeiert und in der Zeitung verkündet. Es heißt, dass das Sherry damals das größte, elegantestes und teuerste Restaurant New Yorks gewesen sei. Es befand sich im Hotel Netherlands, das gleich neben dem Waldorf-Astoria lag. Die Gästeliste, die ebenfalls in der Zeitung veröffentlicht wurde, präsentierte u.a. Namen wie Roosevel, Van Dyke und Ford. Einen Simon Holaran gab es allerdings nicht, diese Figur im Roman und alles, was mit ihr zusammenhängt, sind pure Fantasie.

Maria Montessori

Die Familie fährt oft nach Europa und dort lernt Adelia schließlich Maria Montessori kennen und lebt 1912 und 1913 bei der Pädagogin in Rom. Seit dem reißt der Kontakt nicht ab und schließlich bittet Montessori Adelia als Übersetzerin für sie zu arbeiten. In den kommenden zehn Jahren reisen sie gemeinsam durch die verschiedensten Länder, und Adelia entdeckt dabei den Katholizismus für sich.

Während der gemeinsamen Zeit in Barcelona reist Adelia oft nach Monserrat und nimmt bei den Jesuiten Glaubensunterricht. 1913, mit 25 Jahren, konvertiert sie zum katholischen Glauben. Dort nimmt sie den Namen Mary an. Was ihrer Mutter und den Geschwistern nicht sehr behagt. Für sie ist Adelia gestorben. Die Mutter enterbt die Tochter. Doch als es um das Erbe ging, verzichten die Geschwister auf gewisse Anteile und unterstützen Mary.

Belegt ist auch, dass Mary das Buch „Seelenführung“ von Jean-Pierre de Caussade liest und sich daraufhin einen spirituellen Vater wünscht. Ob sie jedoch solche Gespräche, wie von mir ausgedacht, mit Montessori in Barcelona oder auf Capri geführt hat, ist nicht bekannt.

Mary, ca. 1920

Fakt ist jedoch, dass Mary zusammen mit Rina Caterinici im Oktober 1923 von Capri aus nach San Giovanni Rotondo aufbricht. Der Ausspruch von Francesco: „Meine Tochter, reise nicht weiter. Bleibe hier.“  wird von mehreren Quellen kolportiert.

Ich habe mir dann erlaubt, die Ereignisse im Buch ein wenig zu straffen, sodass Mary gleich beim Padre bleibt. Und in der bescheidenen Herberge der Familie Vinciguerra unterkommt. Diesen wunderbar sprechenden Namen, der in etwa mit „Kriegsgewinner“ übersetzt werden kann, habe ich nicht geändert. Er passte am Ende so gut in das Konzept, als die Dorfgemeinschaft sich gegen die Machenschaften des Vatikans auflehnte.

Mary mit Francescos Vater Grazio und Francescos Schwester Graziella, Suor Pia

In San Giovanni Rotondo wird Mary dann rasch zu „Maria l’Americana“ – und ab da gibt es so einige Berichte über sie und ihr Wirken im Dorf und für den Konvent, die jedoch ähnlich wie bei Padre Pio vor allem ihre Wohltätigkeit und ihren rechten Glauben hervorheben. Sie ähneln darin schon fast hagiografischen Schriften. Kritische Stimmen habe ich nicht gefunden – was aber auch nichts heißen muss, denn es scheint, dass Mary eine durchaus herzensgute Person gewesen ist.
Mary beginnt für den Konvent zu arbeiten, möchte selbst Nonne werden, darf jedoch nur als Terziarin in den dritten franziskanischen Orden eintreten und somit weiter in der Welt leben. Sie kümmert sich um die Belange des Klosters, betreut die Pilger und später während des zweiten Weltkrieges auch die alliierten Soldaten. Sie gründet eine Schola Cantorum, wird zur „Mamma dei malati“, der Mutter der Kranken, und betreut schließlich Francescos alten Vater, der nach San Giovanni Rotondo gezogen ist.
Dies alles hat im Roman schon keinen Eingang mehr gefunden, da sich hier keine Konflikte mehr zeigten und somit keine Spannung mehr hätte aufgebaut werden können.

Ihre Mutter Adelaide hat sie jedoch tatsächlich in den 20er Jahren in San Giovanni Rotondo besucht. Sie hielt zwar an ihrem protestantischen Glauben fest, verehrt in gewisser Weise jedoch auch den Padre und setzt Mary schließlich wieder als Erbin ein.

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Francesco und Mary

Die große Frage, die ich im Roman nur andeute und hoffentlich den Leser_innen zur Beantwortung überlasse, nämlich ob Francesco und Mary ein Liebespaar waren, wird in keiner meiner Quellen offen beantwortet. Es gab unzählige Gerüchte, dass Francesco Kontakt zu vielen gläubigen Frauen hatte, doch ob daraus auch tatsächlich sexuelle Kontakte erwuchsen, ist reine Spekulation.
Genauso mit Mary. Man weiß nicht, wie weit ihre Beziehung ging. Doch bei allem, was ich gelesen habe, gehören die beiden für mich auf eine liebevolle Art zusammen. Und das muss eben nicht immer eine körperliche Liebe sein. Hier hatten sich zwei Menschen gefunden, die im Einklang miteinander standen. Im Glauben. Im Leben.
Dieses Foto der beiden Alten belegt für mich diese Annahme auf das Schönste. Mehr brauche ich über das Verhältnis von Francesco und Mary nicht zu wissen.

 

 

Francesco Forgione aka Padre Pio

Francesco, der Hipster unter den Heiligen.

Die männliche Hauptfigur von „Glaube Liebe Stigmata“ ist – wie ja schon das Bild oben auf dieser Site zeigt – der italienische Heilige Padre Pio. Er ist folglich eine der real existierenden Personen in der Geschichte. Im Netz finden sich massenhafte Berichte über ihn, vor allem im katholischen und italienischen Kontext.

Hier möchte ich eher kurz die Eckdaten aus dem Leben des Padre rekapitulieren und ein bisschen darüber plaudern, was ich in meinem Roman aus seinem Leben ausgewählt habe.
Geboren wurde Francesco am 25. Mai 1887 in süditalienischen Dorf Pietrelcina, in Kampanien. Seine Eltern, Grazio Forgione und Maria Giuseppa di Nunzio hatten ingesamt acht Kinder, von denen jedoch drei im Säuglings- bzw. Kindesalter starben. Eines davon war der „erste Francesco“, der mit nur 19 Tagen verstarb. Francesco Mutter, die den Heiligen Franziskus sehr verehrte, benannte ihren nächsten Sohn wieder nach dem Heiligen. Daher gab es in der Familie Forgione im Grunde zwei Francescos.
Die überlebenden Kinder waren der große Bruder Michele und die drei jüngeren Schwestern Felicità, Pellegrina und Grazia. Da diese Kinder noch lebende Nachkommen haben, habe ich sie im Roman umbenannt in Matteo, Chiara, Flora und Pasqualina.

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Francesco als etwa 11-Jähriger. Ob er es wirklich ist, ist nicht gesichert. Es gibt keine Infos zu diesem Foto.

1889, mit elf Jahren bekam Francesco Privatunterricht bei Domenico Tizzani für fünf Lire pro Monat, nach drei Jahren wechselte er zu Angelo Caccavo. Da fünf Lire damals viel Geld war, wanderte sein Vater nach Brasilien und Nordamerika aus, kehrte aber schließlich nach Italien zurück – etwas, das ich im Roman weggelassen haben. Ebenfalls hab ich auf Tizzani verzichtet, sondern nur Angelo Caccavo in abgewandelter Form als Francescos Lehrer eingeführt. Da ein reales Leben voll mit Menschen ist, die einen länger oder kürzer begleiten, ist auch Francescos Leben und das, was davon dokumentiert ist, voll unzähliger Wegbegleiter, die in einem Roman jedoch  zumeist nur Verwirrung gestiftet hätten. So habe ich versucht, mich auf die wichtigsten Weggefährten zu beschränken.

Das Buch von Gemma Galgani, Lettere ed estasi della serva di Dio, ist ursprünglich erst 1909 erschienen. Francesco hat es als Erwachsener gelesen und später unzählige Textstellen in seinen eigenen Briefen kopiert. Mir liegt eine komplette Abhandlung über seinen Plagiat vor. Das finde ich als Faktum zwar äußerst interessant, für die Geschichte jedoch hätte es kaum Bedeutung gehabt und wäre sehr akademisch geworden. Ihn das Buch schon als Schüler lesen zu lassen und ihm so eine Idee der Stigmata zu vermitteln, passte für mich besser in den Plot.

Tatsächlich jedoch ist Francesco als Kind  einem Kapuziner begegnet, Fra Camillo da Sant’Elia a Pianisi, der im Kloster von Morcone lebte. Er wurde für Francesco zum inspirierenden Vorbild, selbst Mönch zu werden. Angeblich hat er seinen Eltern gesagt, dass er Mönch werden will mit einem Bart wie Fra Camillo. Diesen Wunsch hat er dann bekanntermaßen auch umgesetzt.
Da ich bei dem Namen Camillo jedoch immer an die alten Don-Camillo-und-Peppone-Filme denken muss, habe ich diese Figur in Carmelo umbenannt.

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Francesco 1911 als junger Priester.

So beginnt Francesco im Januar 1903 sein Noviziat im Kloster von Morcone. Dort ändert er seinen Namen in Fra Pio. Er zeichnete sich durch seinen Gehorsam und sein intensives Gebet aus. Neben den Messen und Gebeten zählten auch Selbstkasteiung zu den Abläufen im Kloster. So wollten die Mönche der Passion Christi näher kommen.

Anders als im Roman war nicht Padre Carmelo (Fra Camillo) Francescos Vertrauter und spirituelle Leitfigur, sondern Padre Benedetto aus dem Kloster San Marco in Lamis und später Padre Agostino aus demselben Kloster. Mit beiden tauschte er im Laufe der Jahre unzählige Briefe aus, deren Inhalt nur bedingt romantauglich sind. So habe ich Ansätze dieser Padres in der Figur von Padre Carmelo zusammengefügt.
Im Februar 1904 endete das Noviziat, und Francesco begann mit dem Studium für das Priesteramt.

Es folgen Jahre, in denen er immer wieder die Klöster wechselt, in keinem wirklich ankommt. Er geht nach Sant Elia a Pianisi, nach San Marco la Cataldo, nach Venafrò und Campobasso. Die ersten Gerüchte von seinen Kämpfen mit Satan kommen auf. Francesco wird immer wieder krank und kehrt nach Pietrelcina zu seiner Mutter zurück.

Am 10. August 1910 wurde er zum Priester geweiht, mit nur 23 Jahren. Er hatte eine Sondergenehmigung erwirkt, denn das Mindestalter für das Priesteramt war 24 Jahre. Francesco jedoch fürchtete aufgrund seiner angeschlagenen Gesundheit, dass er bald sterben würde.

Nach der Weihe in Benevento kehrt er nicht in ein Kloster zurück, sondern blieb in Pietrelcina mit der Genehmigung, außerhalb eines Klosters leben zu dürfen. Dort lebte er in einem Zimmer mit Namen „La Torretta“. In seinem Heimatdorf las er die Messe und erhielt 1914 die Erlaubnis, die Beichten abzunehmen. Dort wurde auch dokumentiert, dass Francescos Messen jedoch immer zu lang waren.

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Francesco als Soldat im 1. Weltkrieg.

Am 23. Mai 1915 trat Italien in den ersten Weltkrieg ein. Anfang November wurden die Jahrgänge 1886 und 1887 eingezogen, auch Priester und Mönche mussten zur Musterung antreten. Insgesamt verbrachte Francesco 182 Tag in der Armee, obwohl bei ihm Tuberkulose festgestellt wurde. Vom Militärkrankenhaus in Caserta wurde er nach Neapel geschickt. Zwischenzeitlich wurde Francesco immer wieder nach Hause entlassen, um sich zu erholen.

Mit anderen Worten: Francesco war in all diesen Jahren eigentlich ständig unterwegs, etwas das im realen Leben durchaus nachvollziehbar ist, in einem Roman aber ab einem bestimmten Punkt nicht mehr vermittelbar ist. Es würde die Leser_innen in höchstem Grade verwirren. So habe ich beschlossen, diese Perioden zu raffen, zusammenzufassen, übersichtlicher zu gestalten – und eher Francescos zunehmende Psychose darzustellen und ihn schließlich auf die Spur mit den Selbstverletzungen zu setzen. Dass er sich schon im Krankenhaus die Chemikalien für seine späteren Stigmata besorgt, ist pure Fantasie.

Fakt wiederum ist, dass Francesco nie zum Fronteinsatz musste und schließlich lungenkrank im Krankenhaus in Neapel lag. Hier lasse ich ihn auf den Arzt Giuseppe Moscati treffen, auch dieser eine reale Figur und Heiliger aus Neapel. Es ist nicht belegt, dass die beiden sich tatsächlich begegnet sind.
Im März 1918 wurde Francesco schließlich ehrenhaft aus der Armee entlassen und trat in das Kloster Santa Maria delle Grazie in San Giovanni Rotondo ein, in dem er zuvor schon einige Zeit verbracht hatte. Er sollte dieses Kloster bis zu seinem Tod, 1968, nicht mehr verlassen.

Im September 1918 wütete die Spanische Grippe in Italien, allein in San Giovanni Rotondo starben 200 Menschen. Im angeschlossenen Seminar, in dem Francesco jungen Schülern Unterricht erteilte, waren viele der Jungs krank. Man benutzte, da Alkohol nicht erhältlich war, Karbolsäure zum Desinfizieren. Es ist belegt, dass Francesco über Maria De Vito heimlich die Säure bei deren Cousin Valentini Vista, einem Apotheker in Foggia, geordert hat, dazu noch vier Gramm Veratrin. Im Roman sorgt Maria De Vito für den Nachschub.

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Francesco mit den sichtbaren Stigmata, August 1919.

Die „Stigmatisierung“ von Francesco fand am 20. September 1918 statt. Darüber, wie es angeblich abgelaufen sein soll, gibt es diverse Varianten. Da heißt es dann, Francesco habe anfänglich nichts gesagt, niemand habe etwas bemerkt, nur ein paar von seinen weiblichen Glaubenstöchtern hätten Veränderungen festgestellt.

Vor dem Kloster, ca. 1919. Padre Pio segnet die Menge aus dem Fenster über dem Klostereingang.

Hier habe ich mir erlaubt, meiner Fantasie freien Lauf zu lassen, und versucht, einen möglichen, plausiblen Ablauf zu konstruieren.
Dass sich die Nachricht von den Stigmata sehr schnell im Land verbreitet, ist wiederum belegt.

Die Pilgerströme nach San Giovanni Rotondo setzen in den kommenden Monaten ein, die Presse berichtet immer öfter über Francesco. Er war geheimnisvoll, darüberhinaus der erste Priester, der die Stigmata trug, am Leben war und öffentlich wirkte. Er wurde zum Popstar seiner Zeit, könnte man sagen, der zudem noch ein tadelloses, frommes Leben führte.
In dieser Zeit entstanden auch die ersten Fotos von Francesco mit den Stigmata, die dann natürlich den Hype um seine Person noch anheizten. So wie Mary im Roman schließlich auf ein Foto von ihm stößt und diesem Foto einen Wahrheitsgehalt zuschreibt – etwas, das wir heute in Zeiten von Photoshop und Fake News nur noch vielleicht nicht mehr ganz so schnell und naiv tun würden.

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Francesco als Priester, ca. 1920.

Natürlich wurden nicht nur die Gläubigen und die Presse auf Francesco aufmerksam, der Vatikan bekam natürlich sehr schnell mit, was da in Süditalien ablief. Denunzierende Briefe taten das Ihrige, dass der Vatikan sich schließlich zum Handeln gezwungen sah. So ließ der Vatikan Francesco mehrmals von Ärzten untersuchen, darunter Luigi Romanelli, Raffaele Carlo Rossi und auch der Priester und Wissenschaftler Agostino Gemelli, dem Gründer der Katholischen Universität in  Mailand. Alle drei habe ich namentlich eingeführt, mir aber bei den Abläufen Freiheiten genommen. Sergio Luzzatto, der in seiner historischen Biografie über Padre Pio ausführlich berichtet, hat aus den Akten zitiert, an denen ich mich wiederum orientiert habe. Auch hier war es erneut so, dass die Masse an realen Fakten im Roman eher hinderlich waren, und ich versucht habe, mich auf das Wesentliche zu beschränken, ohne es jedoch herabzuspielen. Das war eine gewisse Gratwanderung.

Fakt ist dann wieder, dass aus diesen Untersuchen resultierte, dass der Vatikan Francesco von 1923 bis 1933 mit schweren Sanktionen belegte. Er durfte keine Messen lesen und keine Beichten hören. Er sollte keinen Kontakt zu den Gläubigen pflegen, durfte auch keine Briefe beantworten. Letzteres habe ich ihm im Roman erspart. Dass Francesco fortgebracht werden sollte und sich die Bewohner San Giovanni Rotondos dagegen aufgelehnt haben, habe ich mir nicht ausgedacht. In einem anderen Zusammenhang erwähnt Padre Pio in einem Brief den Vorfall, dass ein Bewohner eine Pistole auf ihn gerichtet hat und den Satz: „Lieber tot bei uns, als lebend bei den anderen“, gerufen hat.

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Francesco mit verdeckten Stigmata.

In dieser Zeit allerdings tritt Mary Pyle in sein Leben, von der ich in einem nächsten Eintrag berichten werde. Den Gerüchten zufolge soll der Satz: „Reise nicht mehr weiter, meine Tochter, bleibe hier“ tatsächlich zwischen den beiden gefallen sein. Doch selbst wenn nicht, diese Anekdote war zu schön, um sie nicht zu nutzen.

Nachdem der Vatikan schließlich Francescos Strafen in einem Gnadenakt aufhob, kehrte er zu seinem gewohnten Leben als Priester zurück. Hier endet mein Roman, da ich diesen Moment als persönlichen Sieg Francescos über den Vatikan betrachte. Die nachfolgenden Jahre Francescos fand ich – trotz Faschismus in Italien und dem 2. Weltkrieg – dann persönlich nicht mehr so spannend. Es wird eine neue Kirche eingeweiht und in den 50er-Jahren lässt Francesco mit den Spendengeldern, die die Pilger im Kloster lassen, ein Krankenhaus bauen, das für das damals immer noch arme Süditalien einen enormen Fortschritt bedeutete. Damit hat Francesco vor allem an der Darstellung seines frommen und gottgefälligen Lebenswandel gearbeitet.

Zwei Anekdoten jedoch habe ich aus späteren Zeiten im Prolog und im Epilog verarbeitet. Da ist die Begegnung mit Karol Wojtyla, der 1948 als junger Doktorand nach San Giovanni Rotondo reist und Francesco trifft. Dieser soll ihm dann angeblich seine Papstschaft prophezeit haben.

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Francesco und Mary im hohen Alter.

Zudem haben mich die Todesdaten von Mary Pyle und Padre Pio erstaunt und für ihre zarte, uneingestandene Liebesbeziehung sensibilisiert. Mary Pyle starb am 26. April 1968, der Padre am 23. September 1968, keine fünf Monate nach ihr. Seite Mary im Jahr 1923 nach San Giovanni Rotondo gekommen war, hatten die beiden als 45 Jahre zusammen verbracht. Wie ein altes Ehepaar, bei dem schließlich der eine ohne die andere nicht mehr leben konnte.

Vieles aus Francescos Leben habe ich ausgelassen – die vielen Menschen, mit denen er kommunizierte, Briefe schrieb, die Gebetsgruppen, die sich ihm zu Ehren gründeten, die Geschäftemacher, die von seinem „Erfolg“ profitieren wollten, seine nicht ganz klare Rolle im Faschismus. Und natürlich all die Wunder, die ihm von allen Seiten zugesprochen wurden, die er angeblich gewirkt haben soll. All diese Dinge kann man anderer Stelle nachlesen und sich selbst ein Urteil bilden. Nach der langen Zeit, die seit dem Schreiben vergangen ist, habe ich zudem fast Schwierigkeiten, alle Stellen wiederzufinden, die mir als Inspiration gedient haben – damals habe ich einfach nicht daran gedacht, dass es mal so eine Buch-Site geben würde, auf der ich solche Dinge ausplaudere. Also seid bitte gnädig, wenn ich hier keine vollständige Dokumentation abliefere.

Die wichtigste Quelle für die meisten Fakten in meinem Roman ist:

Sergio Luzzatto: Padre Pio. Miracoli e politica nell’Italia del Novecento, Einaudi, 2007, nicht ins Deutsche übersetzt.
Die unzähligen weiteren Bücher und Websites, die ich über Francesco gelesen habe, fallen eher in die Kategorie Hagiografie und sind daher auch nur mit Vorsicht zu genießen.